Talent of Refuge – Aicha und Mustafa

Ohne Identität keine Individualität. So scheint es, wenn man sich die Geschichte von Aicha und Mustafa anhört. Noch vor einigen Jahren besuchte Mustafa die Universität in den USA und arbeitete dort auf einen Soziologie PhD hin. Heute sind ihm diese Türen vorläufig verschlossen.

Ihre Arbeit im öffentlichen Amt der Türkei wurden Aicha und Mustafa zum Verhängnis. Vor zwei Jahren wurden sie mit rund 130’000 weiteren Menschen von der türkischen Regierung willkürlich entlassen. Der Entzug ihres Passes und, am Schlimmsten, ein wachsendes Misstrauen von ihren Mitmenschen folgten. Das Hauptproblem war nicht die Regierung, sondern der soziale Druck, der ihnen die Freiheit nahm. Stell dir vor, du trägst fünfundzwanzig jahrelang täglich deine Tasche nachhause und plötzlich wirst du skeptisch befragt, was du denn damit im Sinne führst.

Eine Reise wie die von Aicha und Mustafa entspringt nicht aus leichtsinnigen Gründen, sondern der Angst und den Menschenrechten wegen. Hier in der Schweiz haben Aicha und Mustafa wiederentdeckt, was Freiheit bedeutet. Und weshalb es sich lohnt, frei zu sein.

„Wir hatten nicht die Gelegenheit uns zu erklären, niemand hörte uns zu oder wahrscheinlich getrauten sie sich einfach nicht mehr. Wir sind den Schweizern so dankbar, dass sie ein offenes Ohr für unsere Geschichte haben. Wir sind doch keine Terroristen, wir sind einfach nur Menschen.“

Die Ängstlichkeit ihnen gegenüber bleibt jedoch auch in der Schweiz nicht gänzlich aus.  „Kannst du dir vorstellen, dass die Menschen plötzlich Angst vor dir haben?“ Aicha berichtet, wie häufig sie für ihr Kopftuch gemustert wird. Auf der Strasse, aus dem Auto heraus, ja sogar, als sie nur nach dem Bus fragte, musste sie schon mit bedauern feststellen, wie eine Frau ihre Tasche näher an sich zog. Mustafa lächelt verständnisvoll und sagt: „Ja, so viel Aufmerksamkeit hat sie noch nie bekommen.“ Mit ihrem humoristischen Scharfsinn haben sie bereits viele Mechanismen begriffen. Aicha hat grosses Verständnis für die Reaktionen ihrer Gegenüber und möchte als positives Beispiel die Stigmatisierung des Kopftuches verändern: „Ich benutzte ein Kopftuch aber das ist nichts Schlechtes. Man kann auch so Freunde sein. Aber ich verurteile niemanden. Es sind die Massenmedien und die schlechten Beispiele die vorherrschen. Vielleicht schaffe ich es ein gutes Beispiel zu sein, dass reicht für mich.“ Um die Brücke zwischen den Kulturen zu schlagen üben sie fleissig. Zum Beispiel durch das Benutzen von schweizerdeutschen Ausdrücken, wie dem „Ja, ja genau“ sagt Aicha und fängt an ein improvisiertes Lied zu singen. Ihr Mann fügt lachend das „Grüezi“ hinzu. Sie neckt ihn liebevoll seine Motivation, mindestens drei Mal am Tag zu grüssen, nicht zu vergessen.

Aicha und Mustafa hatten Glück und erwarten ihren Transfer in eine eigene Wohnung in wenigen Wochen. Es sei schön wieder ein Zuhause aufbauen zu können und in Sicherheit zu sein. Besonders ihre Freunde vom Asylheim einladen zu können und ihnen für einige Stunden die Geborgenheit, welche sie so dringen benötigen, zu geben. Aicha und Mustafa sind erst seit wenigen Monaten im Asylheim Rothenburg und helfen wo sie können. So nutzt Aicha ihre Englischkenntnisse um im Spital zu übersetzen und ihren Freundinnen zu helfen. Ihre Augen und Ohren sind offen und die Ideen für eine leichtere Integration sind zwischen den Beiden ein beständiges Thema. Eine nötige Bereicherung, welche hoffentlich schon bald genutzt werden kann.

Das Hintergrundwissen bringt Mustafa aus seinem Soziologie Studium mit, in welchem er sich mit Fragen der Integration und Migration beschäftigte. Gerne würde er nun seinen PhD in der Schweiz abschliessen und sich nebenan weiter engagieren. Es sei jedoch schwierig eine_n Professor_in zu erreichen und die nötigen Informationen zu erhalten. Seine Mails blieben bislang unbeantwortet. Ihr Informationsstand ist für ihre kurze Zeit in der Schweiz bewundernswert, denn eigentlich wollten sie nach Deutschland, doch kurz vor der Grenze wurden sie kontrolliert. So sind sie in der Schweiz gelandet, kein schlechtes Übel, meint Aicha lachend. Doch die Schwere hat nun den Raum ausgefüllt. Hätten sie ihre Pässe noch, wären sie hier als Studenten empfangen worden und die Universität, vielleicht die Schweiz oder die USA, hätte sich über ihren internationalen Austausch gefreut. Doch nun sind sie Flüchtende ohne Identität: „Wir sind am Ende der Warteliste angekommen“ erklärt Mustafa.

Dennoch wirken Aicha und Mustafa hoffnungsvoll: „Das Leben fliesst so schnell, aber ich glaube nicht, dass es zu spät ist etwas Neues zu lernen. Wir bleiben optimistisch.“ Und so werden wir ihnen hoffentlich schon bald auf den Korridoren der Universität begegnen.